In Österreich reden wir viel über Wölfe: wo sind sie und wie viele, was machen sie so, schauen sie hungrig aus, erschießen ja oder nein? Das Zentrum Wolf – Luchs – Bär hat im Dezember diese Karte veröffentlicht, auf der man sieht, dass immer noch ziemlich viel Kärnten in Wolfsland ist.
Jedenfalls habe ich eine kleine Wolfsgeschichte geschrieben, um die eigentlich relevanten Fragen anzusprechen. Und die geht so:
Vorbildliche Wölfe
Früher hatten wir hier in Schlunz in Oberösterreich ein Problem mit den Wölfen. Ein Wolfsproblem. Mit Problemwölfen. Der Bauernverband hatte diese zusammengesetzten Hauptwörter gebildet und damit begonnen Notizbücher als Werbegeschenke zu verteilen, in denen als „Gag“ alle par Seiten ein Bild von einem Wolf ist und darüber eine Folie mit einem aufgedruckten Fadenkreuz, sodass man den Wolf ins Visier nehmen kann. Die Notizbuchwölfe lungern mit hungrigen Augen vor Hühnerställen oder an Weidezäunen herum. Ihre Schnauzen sind blutverschmiert vom gierigen Fressfest, im Fell hängen ihnen Rückstände vom verschlungenen Vieh. Warum heißt es eigentlich „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, warum kommt der Wolf in dieser Anklage ungeschoren davon? Er war doch sicherlich dabei, als die Gans gestohlen wurde oder hat sogar gleichzeitig etwas Größeres, Teureres gefressen, bloß hat niemand ein Lied darüber geschrieben. An der Schuld des Wolfes jedenfalls besteht kein Zweifel.
Es sind dies die Gedanken des Karl Weitzer, der Besitzer eines mittelgroßen Bauernhofes in Oberösterreich ist. Zu seinem kleinen Reich gehören mehrere weite Kartoffelacker, ein kleines Stück Wald, 31 Hühner, zwei Hähne, eine einäugige Katze namens Pomeranze, zwei Pferde, 7 Ziegen, 4 Rinder und 8 Schafe. Das heißt, es waren 8 Schafe. Bis der Wolf vier geholt hat. Wolf, du hast die Schaf’ geholt, gib sie wieder her! „Ich habe 8 Schafe gehabt. Ich komm auf die Weide und alles ist voller Blut. Die Tiere liegen zerrissen da. Jetzt hab ich nur mehr vier Schafe.“ Die überlebenden Tiere seien traumatisiert, der Wolf auf freiem Fuß.
Der Bauer Weitzer war mit einer Menge aufgestauter Wut im Gepäck auf dem Weg ins Gasthaus Fleck, wo der Bauernverband, der bis auf zwei Personen mit dem Gemeinderat überlappte, heute zusammenkam, um einen Plan zu schmieden, der den Wölfen den Garaus und dem Wolfsterror ein Ende machen sollte. Als er das Gasthaus betritt und sich durch die laute dampfige Gaststube Richtung Hinterzimmer drängt, hört er schon die Stimmen seiner Mitstreiter. Die raue Stimme eines Nachbarn übertönte das Geklimper der Gläser und das Gemurmel anderer. Deutlich hörte Weitzer ihn sagen, es wären zwei Personen hier, die weder eingeladen worden seien, noch von der Gesinnung, die man sich für dieses Treffen erwarten könne und das finde er … Weitzer hörte das Adjektiv nicht, weil ihm just in diesem Moment die Kellnerin versehentlich ein Schneidbrett voll Speckbrote in die Hüfte rammte. Sich die schmerzende Seite haltend trat er ein. Ein kleiner grauer Ozean von Trachtenjankern machte eine Woge, als sich die Köpfe nach dem Neuankömmling umdrehten. Man begrüßte ihn, rückte Sessel und Gläser zur Seite, machte ihm Platz, denn er war ja einer der ihrigen. Wer eigentlich nicht ins Bild passte, war schnell erkannt. Gundl Bacher und Herwig Faltik hießen die einzigen Oppositionspolitiker der Gemeinde. Hewig musste stehen, denn für ihn war niemand zur Seite gerückt und Gudrun saß hinter einem großen Strauß Trockenblumen und blickte missvergnügt drein, wie es sich für Oppositionspolitikerinnen gehörte. Beide vertraten eine Bürgerliste von Umweltfundis. „Gut, dass du da bist Karl“, sagte ein Sepp oder Hans mit hochrotem Gesicht. „Vielleicht kannst du denen Vernunft beibringen.“ Die Bürgerliste, so erklärte man Weitzer, habe einen Antrag gestellt, der sich in arg gekürzter Form wie folgt läse: „Umweltfundis und Freunde, bla bla, stellen fest, dass ein Wolf, der ein Schaf frisst, kein Problemwolf ist, sondern – aus seiner Sicht – ein vorbildlicher Wolf, denn er täte genau das, wofür er auf die Welt gekommen sei. Der Mensch habe keinesfalls mehr Recht inne, darüber zu entscheiden, wann ein Schaf zu sterben hat und wann es von wem gegessen werden dürfe, als der Wolf. Folglich fordern die Umweltfundis und Freunde die Gleichberechtigung des Wolfes.“ Als der Sepp oder Hans mit seiner diffamierenden Übersetzung des Antrags fertig war, wurde es laut im Hinterzimmer. Der Trachtenjanker-Ozean toste, aufgebracht wurde dem Nachbarn versehentlich Bier ins Gesicht gespuckt oder Speckbrot, bis sich schließlich der stehende Herwig Faltik, um Aufmerksamkeit zu erregen, ein Stockerl nahm und sich an den Tisch setzte, denn aufstehen kann man ja als Stehender schlecht. Er habe eine Idee, sagte er.
Der graue Ozean beruhigte sich. Das könne ja heiter werden, sagte ein Franz oder Gust. Der Unterschied, sagte der Faltik, zwischen Wolf und Mensch bei der Frage, wer wann ein Schaf fressen dürfte, läge ja irgendwie daran, dass der Wolf die Schafe nicht besitzen könne, weil er – um es vereinfacht auszudrücken – kein Geld hat, um eines zu erwerben, das er dann legal fressen könnte. Was wäre also, wenn man das dadurch ändern könnte, dass Wölfe zur Arbeit verpflichtet werden? Sie sollen Hosen tragen, wie sich das gehört und auf dem Bauernhof arbeiten, ein bisschen Geld verdienen und dann damit das gerissene Vieh ersetzen können. Fände man Rückstände von gewolftem Schaf, für das kein Wolf einen Finger gerührt habe, so müsse der Wolf ins Gefängnis wie alle anderen Diebe auch.
Die Bauern bestellten noch eine Runde Bier und begannen nun zu grübeln. Na das wäre doch was! Wahrscheinlich könnten die Wölfe keinen normalen Hosen tragen, denn die rutschten ihnen ja hinunter. Man müsse beim Schneider im Nachbardorf nachfragen, ob er eigens Arbeitshosen für die Wölfe schneidern könne. Aber ansonsten klang das alles recht schlüssig, fanden die Bauern. Seitdem, so behaupten die Schlunzer, ist das Wolfsproblem überwiegend gelöst. Arbeitswölfe sind bei den Bauern beliebt, denn sie verfügen über körperliche Fähigkeiten, die einem Mostviertler Bauern fremd sind. Beim letzten Maibaum-Aufstellen war auch eine junge Wolfsfamilie zu Gast in ihren besten Sonntagshosen. Man erzählt sich gar, dass nächstes Jahr einer zur Gemeinderatswahl antreten will, um sich gegen die antiwölfischen Werbegeschenke des Bauernverbandes in Position zu bringen. Man strecke ja schließlich seine Pfoten unter dieselbe Heurigengarnitur wie ein Sepp, ein Hans, ein Franz oder ein Gust und müsse sich auch nicht alles gefallen lassen.