„Der ORF startet die Aktion Nachbar in Not.“ Was löst dieser Satz bei Ihnen aus? Für mich hat er viel mit Stolz auf unser Österreich zu tun. Aktuell haben wir eine Bundesregierung, die stolz darauf ist, hart zu bleiben, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Und ich geniere mich dafür.
Wenn jemand fragt: „Warum sind Sie stolz, Österreicherin zu sein?“, muss ich ein bisschen überlegen, weil Nationalstolz mir fremd ist. Ich bin eher stolze Europäerin und stolze Wienerin. Aber eine Sache fällt mir immer gleich ein: Österreichs Hilfsbereitschaft. Die Stimme eines TV-Moderators oder einer Moderatorin, die nach einem Bericht über eine Katastrophe oder einen Krieg sagt, „Der ORF startet die Aktion Nachbar in Not“ bedeutet für mich: „Es ist ernst. Menschen sind in einer drastischen Notlage, aus der sie sich selbst nicht befreien können. Hier spricht nicht die Politik. Dies ist der Moment für die Zivilgesellschaft. Es ist der Moment für alle, die ein kleines bisschen übrig haben, egal ob sie mächtig oder reich oder nicht so mächtig und nicht so reich sind. Stehen wir zusammen und helfen wir.“
„Nachbar in Not“ wurde 1992 ins Leben gerufen, um Opfern der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, besonders in Bosnien, zu helfen. Zwischen 1992 und 1997 spendeten die ÖsterreicherInnen dafür etwa 80 Millionen Euro. Ich treffe noch heute Menschen in Bosnien, die den Namen der Aktion kennen und wissen, dass diese Nothilfe aus Österreich kam.
Dass Hilfe in der Not ein Teil dessen ist, was mein Heimatland ausmacht, macht mich stolz, Österreicherin zu sein. Heute haben wir in diesem Land eine Regierung, die stolz darauf ist, hart zu bleiben, wenn Flüchtlingslager brennen und sich die Frage stellt, wer deren BewohnerInnen aufnehmen kann. Ich stelle mir die Frage, was wir ÖsterreicherInnen für Menschen sein wollen. Wollen wir die sein, die es der Welt jetzt einmal richtig zeigen und diesmal nicht helfen, weil „wir eh schon so viel getan haben und andere ja gar nichts machen“? Wer ist denn das Publikum für eine solche Botschaft und was versprechen wir uns davon für eine Wirkung? Weder werden die Großen und Mächtigen vor unserer unterlassenen Hilfeleistung erzittern, noch wird Europa dadurch schneller zu einer effektiven gemeinsamen Migrations- und Flüchtlingspolitik oder Außenpolitik finden.
Es geht hier nicht nur um Mitgefühl, sondern auch um Sicherheit. Vor ein paar Jahren noch beschäftigte uns in Europa noch der Umstand, dass Elendsviertel auf unserem europäischen Boden Brutstätten für Radikalisierung waren und das immer noch sind. Heute scheinen diese Überlegungen vergessen worden zu sein. Es braucht allerdings nicht viel Vorstellungsvermögen, um zu erahnen, was es mit einem jungen Menschen in Moria macht, dem gerade das Dach über dem Kopf weggebrannt ist, während Europa zusah. Ich kann nur vage erahnen, was diese Frustration, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit mit einem Charakter wie dem meinen machen würde. Nichts Gutes jedenfalls.
„Es braucht eine europäische Lösung“ ist ein Satz, hinter dem sich jetzt in Österreich und anderswo konservative PolitikerInnen verstecken, weil sie lieber politisches Kleingeld mit ausländerfeindlicher Politik machen, als national tätig zu werden. Glaubten sie wirklich an einen europäischen Weg, so hätten sie seit 2016 und bereits lange zuvor die Möglichkeit gehabt, für einen solchen zu kämpfen, egal ob gerade nationale Wahlen anstanden. Stattdessen verzögerte man, kürzte man Entwicklungszusammenarbeitsbudgets, kam mit leeren Händen aus Brüssel zurück und erklärte europäische Lösungen für gescheitert. Alle möglichen Alternativen zu einem verbindlichen europaweiten Verteilungsschlüssel für Asylberechtigte auf alle EU-Staaten, wie etwa Ersatzahlungen durch nicht teilnehmende Mitglieder, wurden nicht weiter diskutiert oder verfolgt. Wie durch ein Wunder kam folglich bisher keine ernstzunehmende europäische Lösung zustande. Und jetzt stellt man sich als Österreichische Bundesregierung hin und sagt, wir wollen ja eh, aber nur europäisch und das geht halt nicht. Georg Renner hat dazu auch etwas Lesenswertes geschrieben.
Wieder andere erklären mir auf Twitter, der Bundesregierung seien ja die Hände gebunden, weil die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen sei und die Regierung sich danach halt richten müsse. Ich habe meine Zweifel, dass Angst und mangelndes Vertrauen, dass Österreich mit der Aufnahme von weiteren Personen in einer Form umgehen könnte, die sich nicht katastrophal auf unsere Leben auswirkt, nur mit einer generellen Ablehnung einer solchen Hilfeleistung zu tun hat. Es sind auch nicht alle ausländerfeindlich, die das gerade nicht unterstützen wollen. Vielleicht haben das politische Chaos 2016 und die Planlosigkeit der Bundesregierung damals, dazu beigetragen, wäre doch möglich. Würde unsere Bundesregierung Zuversicht ausstrahlen und Integrationsmaßnahmen rhetorisch nicht wie eine Disziplinierungsmaßnahme für Ausländer verwenden, sondern wie die Antwort auf eine schwierige, aber lösbare Aufgabe, die auch mit Potenzialen für unser Land verbunden ist, sähe das Meinungsbild dann anders aus? Möglich wäre es doch. Außerdem ist das Rausreden auf Umfragen nicht die einzige Art, die Interessen der BürgerInnen bestmöglich zu vertreten. Tragfähige Lösungen, vorgeschlagen von qualifiziertem politischem Personal mit einem aufrechten Gang hätten wohl schon einige Überzeugungskraft.
Ich bin sicherlich niemand, der sich für eine Welt völlig ohne Grenzen und eine Aufnahme von immer mehr und mehr Menschen ohne Plan und Ziel und ohne rechtsstaatliche Verfahren ausspricht. Unabhängig davon, dass ich mir für alle auf der Welt ein sicheres, friedliches Heim, Zugang zu Nahrung, medizinischer Versorgung und Bildung und Zukunftsperspektiven wünsche, ist mir klar, dass auch wenn wir in Österreich Platz haben, unsere Verwaltung, medizinische Infrastruktur, Schulen, etc. irgendwann an das Limit dessen stoßen, was sie leisten können und dieses Limit vielleicht 2016 an mancherlei Stelle auch erreicht haben, wenn man sich an das Chaos damals, die langsamen Verfahren, die Suche nach Unterkünften und Deutschkursen etc. damals erinnert. Niemand leugnet die Komplexität der aktuellen Situation und dass natürlich eine Aufnahme von vielen Flüchtlingen nicht vorwiegend mit bequemlichkeitssteigernden Effekten für alle einhergeht. Und bevor mir jetzt irgendwer, erklärt, ich sei ja auch ein Bobo, der kilometerweit entfernt vom nächsten Ausländer lebt: Ich verstehe alle, die sich fürchten, wenn sie plötzlich kein Wort mehr verstehen, das um ihren Wohnort oder Arbeitsplatz herum gesprochen wird. Mir ist auch nicht immer nur wohl, wenn mir in der Nacht im Park Gruppen von Männern entgegenkommen, deren Sprache ich nicht verstehe und bei denen ich daher nicht sagen kann, ob sie eh nur über Fußball diskutieren oder gerade ungut drauf sind. Und das ist jetzt nur das Beispiel, das mir aus meinem Leben einfällt. Aber ist die Antwort darauf wirklich unser aktueller Umgang mit Themen wie Moria? Eher auch nicht, oder?
Dieser Umstand kann aber keine Entschuldigung für die „politische Selbstaufgabe“ ( (c) Claudia Gamon) sein, die die Bundesregierung aktuell in der Migrations-, Flüchtlingspolitik und bei ihrem Beitrag zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitk an den Tag legt. Ganz abgesehen davon, dass mir persönlich sehr übel wird, wenn der Außenminister der Republik Österreich in einem Interview sagt, „Es geht immer nur um ein paar Kinder“, wenn es um die Aufnahme von durch den Brand in Moria völlig obdachlos gewordene Menschen geht, kann ich auch wenig mit der Anmerkung Schallenbergs anfangen, dass wenn man so ein Lager evakuiere, es in Kürze wieder gefüllt wäre und das somit keine Lösung sei. Was bedeutet das denn? Dass wir die Menschen, die aktuell unter völlig menschenundwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern auf europäischem Boden hausen müssen, dort festhalten und auf unbestimmte Zeit als menschliche Abschreckung benutzen werden? Ist das wirklich der Plan meines Landes?
Ich möchte stolz auf Österreich sein. Auf unser diplomatisches Geschick, auf unseren europäischen Geist, auf unser Streben, die Welt besser zu machen und ein guter Partner für all jene in der Welt zu sein, die das auf Augenhöhe mit uns sein möchte. Ich möchte, dass mein Land zeigt, dass menschliches Leben ihm etwas wert ist, dass wir Freunde in der ganzen Welt haben, dass wir ein Hirn haben. Ich will, dass die Ausdrucksweise eines Bundesministers, wenn er über Menschen in Not spricht, bei mir keinen Brechreiz und Genieren verursacht, selbst wenn er gerade noch keine Lösung für ein Problem hat, wofür ich ja durchaus Verständnis hätte.
Unsere Bereitschaft in der Vergangenheit, auf unterschiedlichen Wegen zu helfen, wenn Menschen in Bedrängnis sind, ist kein Zeichen dafür, dass wir blöd sind und uns ausnutzen lassen. Ein Interesse an einer besseren Welt und daran, auch zügig einen angemessenen Beitrag zu leisten, ist keine Schwäche. Es ist eine Stärke und zeigt, dass wir ÖsterreicherInnen in der Welt eines sein wollen: gute Leute.