An einem meiner ersten Tage in diesem Job im Parlamentsklub sah ich, wie sich ein Mandatar, der mir besonders unsympathisch in seinem Auftreten und in seinen Positionen war, die Nase schnäuzte. Es war Winter und er hatte einen heftigen Schnupfen, wie ich ihn wenige Tage zuvor gehabt hatte. Mich selbst beobachtend, fragte ich mich kurz, warum mich der Anblick so erstaunte. Die beste Erklärung, die ich habe, ist, dass ich über meine Abneigung, die seine menschenverachtenden Äußerungen in den Medien bei mir hervorgerufen hatten, irgendwie vergessen hatte, dass er ein Mensch aus Fleisch und Blut ist und daher natürlich auch Schnupfen kriegen kann.
Natürlich kann ich nicht einschätzen, wie es anderen damit geht, aber meiner persönlichen Erfahrung nach, vergeht einem diese Sicht der Dinge im Parlament recht schnell, wenn man einigermaßen reflektiert ist. Der ganze Apparat ist wie eine große Schule, in der man manche Leute eben mag und andere nicht und das ist viel weniger davon abhängig, zu welcher Partei die gehören, als man glaubt. Jede Partei hat den „Hund, der für sie beißt und bellt“, wie es bei Element of Crime heißt, jede hat Diplomat_innen, die mitunter Einigungen herbeiführen können, wo andere es nicht gekonnt hätten, jeder hat ein paar schräge Vögel. Fleiß und Faulheit, weiche Herzen und harte, gute Manieren und schlechte sind auf das Haus verteilt und auch wenn man findet, dass sich die eine oder andere Eigenschaft in irgendeinem dieser Hogwarts-Häuser, die das Parlament hat, ballt, ist keine der Fraktionen völlig von gewissen statistischen Erscheinungen, die eine größere Gruppe von Menschen unweigerlich befällt, befreit.
Gegen Sympathie kann man sich nicht wehren
Wenn alle in einem Haus „wohnen“, gibt es darüber hinaus die unfreiwillige Komplizenschaft, wie ich das nenne. Diese wird meist durch Widrigkeiten des Umfelds hervorgerufen, die allen Fraktionen gleich auf die Nerven gehen. Ein Beispiel wäre der Umzug ins Ausweichquartier Hofburg oder wenn es im Parlament gerade entweder sehr heiß oder sehr kalt ist.
Unvergessen bleibt mir dabei eine Ausschusssitzung vor zwei Jahren, die bei etwa 39 Grad Hitze in einem sonnenseitigen Ausschusslokal des Parlamentsgebäudes stattfand. Zwei Parlamentarier waren angezogen, als kämen sie gerade vom Segeln. Abgeordnete einer bestimmten Fraktion begannen relativ raumgreifend Manner Schnitten zu verspeisen, während eine Mitarbeiterin der Parlamentsdirektion sichtlich pikiert und betont auffällig zwischendurch immer wieder die Brösel vom Tisch putzte. Es war brühend heiß, der Minister war von Reisen erschöpft und drohte immer wieder einzunicken. Irgendjemand bedeutete, man möge doch jetzt endlich etwas gegen diesen Zustand unternehmen. Daraufhin machten sich einige Mitarbeiter der Parlamentsdirektion geschäftig daran, die vergilbten und mottenzerfressenen alten Rollos auszufahren. In weiterer Folge ging mit einem hörbaren Flschhhh-Geräusch – im gleißenden Sonnenlicht gut sichtbar – eine gigantische Staubwolke auf die Ausschussgesellschaft nieder und der schweißgebadete und fortan auch in historischen Staub panierte Ausschussvorsitzende Josef Cap seufzte tief und wir alle mit ihm.
Ich habe schon Kolleginnen anderer Parteien mit der Schreibtischladen-Ersatzstrumpfhose für Laufmaschen an besonders unpraktischen Tagen (Fachbegriff) ausgeholfen und bin einmal einem älteren Kollegen, der sich im aufgelösten Saum seines Sakkos so verfangen hatte, dass er die Arme kaum noch bewegen konnte, zu Hilfe geeilt. Der Sozialreferent einer anderen Partei und ich fraternisierten immer über oder besser gesagt gegen die Cornflakes-Panier, die Schnitzel in der Parlamentskantine manchmal aus unerfindlichen Gründen umgab und in einem Schneesturm vor ein paar Jahren half uns ein Landtagsabgeordneter einer anderen Fraktion über eine Stunde beim Ausschaufeln des NEOS-Bus.
Das meiste davon sollte eigentlich normal sein und einem leicht fallen, wenn man ein halbwegs anständiger Mensch ist. Ich sag‘ es nur, weil mir immer öfter auffällt, dass viele Leute – auch wegen des Bildes, das sich mitunter im Fernsehen bietet – annehmen, dass im Parlament einander alle hassen und am Treppenabsatz noch das Haxel stellen.
Es gibt rote Linien und es gibt grünen Veltliner
Inhaltlich haben wir natürlich Differenzen, manchmal leichte, aber oft auch sehr tiefe und in einigen Bereichen sogar unüberbrückbare. Es gibt Parteien, die ich persönlich nicht in der Regierung haben will und welche, die hätte ich am liebsten gar nicht im Parlament. Es gibt Leute, mit denen rede ich im Lift nicht übers Wetter und denen gebe ich ungern die Hand, aber ich gebe sie ihnen trotzdem, weil das ja wohl das Minimum an Respekt ist, das man jedem entgegenbringen sollte. Und dann gibt es die, mit denen ich gerne Spritzer trinken gehe, die gibt es in bisher fast allen Parteien. Und während ich nachvollziehen kann, dass man das nicht immer versteht, finde ich es wichtig, nicht immer nur mit denen beisammen zu sitzen, die mir das sagen, was ich eh schon selbst denke. Mit wem ein Viertel zu trinken, heißt nicht, die eigene Ideologie und die eigenen roten Linien über Bord zu werfen. Und keinen Veltliner mit wem zu trinken, der einem sympathisch ist, nur weil man seine Positionen nicht teilt, löst gar nichts.
Das eigene Welt- und mein Menschenbild ist die Summe an Erfahrungen und Gedanken, die man bisher im Leben hatte. Sich im Ist-Zustand einzumauern, hieße Stillstand in der Entwicklung meines politischen Denkens. Gleichzeitig weiß man, dass man manchmal – es ist meistens im Wahlkampf – die Meinungen geschätzter Kolleg_innen anderer Parteien, die mitunter Freundinnen und Freunde geworden sind, manchmal nur mit Mühe oder halt gerade überhaupt nicht aushält. Es wird ihnen mit mir ähnlich gehen. Aber dann trinkt man den nächsten gemeinsamen Spritzer halt erst wieder nach dem Wahltag.
Wir arbeiten für die Steuerzahler_innen
Mein Gehalt als Klubmitarbeiterin zahlen die Steuerzahler_innen. Mandatar_innen hingegen haben einen Auftrag von ihrer Wählerschaft. Der Auftrag, den diese der Politik geben, ist vorwiegend nicht die Blockade und die fortwährende Kriegsführung gegeneinander. Klar, viele wählen das Eine, um das Andere zu verhindern, aber die meisten wären nicht zufrieden, wenn Politik nichts weiter täte, als zu verhindern. Warum sollten sie auch? Steuerzahler_innen erwarten sich vom Parlament, dass es Gesetze beschließt, die Probleme lösen und Chancen nutzen. Dabei ist es nicht der Sinn der Übung, dass eine Partei – egal welche – in allen Dingen zu 100% recht hat, das ist auch nicht möglich. Der Sinn ist eher, dass Abgeordnete, die gemeinsam einen möglichst großen und diversen Teil der Bevölkerungsinteressen abbilden, gemeinsam nach Lösungen suchen, die möglichst allen zugute kommen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass das im Parlament oft nicht so läuft, aber das könnte man als Wählerin oder Wähler (ruhig auch ein bisschen lauter) von seinen Volksvertreter_innen verlangen.
„Politik ist Beziehungsarbeit“, hat Matthias Strolz öfter in irgendeinem Zusammenhang gesagt and he might be onto something there. Nachhaltige Einigung hängt oft stark davon ab, wie gut Politiker_innen verschiedener Fraktionen miteinander können. Schaut man sich etwa die Beilegung des Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien an, so ist wohl anzunehmen, dass diese viel damit zu tun hat, dass die beiden Regierungschefs gut miteinander auskommen, auch wenn das sicher nicht der einzige Faktor ist.
Wenn man beobachtet, wie Politiker_innen im Alter 60+ miteinander umgehen und vergleicht, wie der Umgang der jüngeren Generationen dieser Branche miteinander ist, so hat man manchmal den Eindruck, es ist irgendwo auf dem Weg die Gesprächsbasis verloren gegangen, die ermöglicht, dass man Dinge im Interesse der besten Idee tut und nicht immer nur, um den anderen eine aufzulegen, egal, was dabei herauskommt. Aber gut, vielleicht kommt mir das nur so vor und die ehrwürdigen Politiksilberrücken der Republik kennen einander halt auch schon 40 Jahre. Den Verlust der Fähigkeit, fraktionsübergreifend normal miteinander zu reden, hielte ich in jedem Fall für eine eher gefährliche Entwicklung, die sich wohl auch auf die Bevölkerung überträgt und der ich mich in meinem beschränkten Wirkungsbereich entgegenstellen will.