Der geplante Deal zwischen dem Kosovo und Serbien und Österreichs problematische voreilige Zustimmung könnten eine Vorleistung für erneute gewaltsame Auseinandersetzung, zumindest aber für eine nachhaltige Gefährdung der Stabilität in der Region sein.
Unter dem Titel „Neue Perspektiven zur EU-Erweiterung“ trafen beim Europäischen Forum Alpbach 2018 die Präsidenten Serbiens und des Kosovo, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi, auf einem Panel zusammen. Ebenfalls anwesend waren Präsident Alexander Van der Bellen, EU-Kommissar Johannes Hahn, der slowenische Präsident Borut Pahor und zwei junge ExpertInnen für die Region, Tena Prelec und Adnan Ćerimagić.
Äußerlich ging es um das viel diskutierte Thema der Beitrittsperspektiven für die Staaten des Westbalkans. Was das Panel eigentlich war, war das österreichische Freiticket für einen historisch gefährlichen Plan, den die Präsidenten Vučić und Thaçi gerade miteinander verhandeln. Die Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo soll neu gezogen werden, entlang ethnischer Linien. Konkret geht es dabei vor allem um den mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo. In den vier Gemeinden, die dieser umfasst, leben etwa 80.000 Menschen, knapp 90 Prozent davon sind Serben, der Rest Albaner, Bosnier und andere. Vučić und Thaçi sprechen nun über ein Paket, dessen Details noch unbekannt sind. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass es um die Anerkennung des Kosovo durch Serbien geht, wenn dieser im Austausch dafür seinen serbisch dominierten Nordteil an Serbien abgibt.
Warum nicht?
Oberflächlich betrachtet klingt das nach einer guten Idee, die einen seit Jahrzehnten, ja man kann argumentieren seit Jahrhunderten, bestehenden Konflikt lösen soll. Oberflächlich betrachtet könnte man sagen: Zwei Staaten möchten sich einigen, um ein Problem zu lösen und einander auf dem Weg in die Europäische Union nicht mehr im Wege stehen. Was könnten wir da dagegen haben? Wir sollten das unterstützen. Genau diese Position nahmen auf dem Panel der österreichische Bundespräsident und EU-Kommissar Hahn ein und wenige Tage später auch der Bundeskanzler. Zur Erinnerung: Wir wissen noch nichts über die Details des Deals, zu dem die österreichische Spitzenpolitik hier bereits Zustimmung signalisiert. Wir wissen wenig über die möglichen Folgen für die beiden Staaten, die dennoch „auf der falschen Seite“ der möglichen neuen Grenze verbleibenden Minderheiten und die Folgen für die Stabilität der gesamten Region. Van der Bellen riet den Journalisten auf dem Forum Alpbach, keine Fragen nach den Details des Deals zu stellen, um die Verhandlungen nicht zu gefährden – eine auch eher problematische Vorstellung davon, was die Aufgabe von Journalismus ist.
Das Panel war ein hochemotionales, die Anspannung im Raum war für alle deutlich zu spüren. Zeitweise dachte man: Eskaliert das jetzt noch hier auf der Bühne? Vučić ist ein guter Showman, Thaçi gab sich als Mann des Volkes, die Österreicher klopften sich selbst auf die Schulter, dass dieses Gespräch durch sie zustande gekommen war und der slowenische Präsident wirkte leicht verstimmt, als er merkte, dass es hier eigentlich nicht um ihn ging. Einzig die jungen Experten auf dem Panel warnten.
In einer auf dem Forum viel beachteten Rede wandte sich der in Bosnien geborene Adnan Ćerimagić an die Präsidenten und appellierte: Gehen Sie nicht diesen Weg. Ziehen Sie Grenzen nicht so, dass sie möglichst alle größeren Minderheiten in Ihrem Land loswerden können, leben Sie uns keine Welt vor, in der Albaner sich nur in einem rein albanisch besiedelten und regierten Staat sicher fühlen, Serben sich nur in einem serbischen und alle jene Minderheiten, die keinen Staat haben oder irgendwo zwischen den Stühlen sitzen, sich gar nicht sicher fühlen. Das ist nicht das Europa, das wir bauen sollten. Die Grenzen auf dem Balkan müssen europäische werden, wie jene zwischen Tirol und Südtirol. Er hat seine Gedanken noch einmal für Politico Europe zusammengefasst.
Was passiert mit Bosnien?
Er war mutig, solch klare Worte zu sprechen, in einem Raum, in dem sich alle einig schienen und nicht seiner Meinung waren. Er warf die wichtigste Frage des Abends auf: Wenn die beiden sich diesen Deal ausschnapsen und die EU zustimmt, was passiert dann in Bosnien? Der Westbalkan ist keine Weltgegend, in der man klar nur von den einen oder klar nur von den anderen bewohnten Gruppe bewohnten Landstücke hat. Er ist — von der Verteilung der ethnischen Gruppierungen aus betrachtet — ein totales Chaos. Der Frieden, der in der Region herrscht, ist ein fragiler und jede Bestätigung nationalistischer und rein auf dem Faktor der ethnischen Zugehörigkeit basierender Manöver, gefährdet ihn. Als Vizekanzler Strache sich Anfang des Jahres zur Integrität des bosnischen Staates äußerte und ihm quasi die Daseinsberechtigung absprach, schlug das — ungeachtet gegenteiliger Beteuerungen der österreichischen Außenministerin — in Bosnien emotionale Wellen, ebenso wie allein die Berichterstattung um diesen geplanten Deal zwischen den serbischen Präsidenten eine Auswirkung auf Bosnien haben wird. Stimmt die EU einer Neuziehung der Grenzen in diesem Fall zu, gibt es keinen Grund für serbische Nationalisten in Bosnien anzunehmen, dass sie nicht dasselbe für sich selbst erreichen könnten und sie sich mit mehr oder weniger Zustimmung der Europäischen Union von Bosnien abspalten könnten. In Bosnien finden im Oktober Parlamentswahlen statt, die aufgrund verfassungsgemäß vorgesehener Repräsentation der verschiedenen ethnischen Gruppen zu den kompliziertesten der Welt zählen. Es ist wahrscheinlich, dass Nationalisten die in der Nachbarschaft stattfindenden Grenzdebatten für sich instrumentalisieren werden, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen und politisches Kleingeld damit zu machen. In einer Region, in deren Seele die Verletzungen der Vergangenheit so tief gehen, ist so etwas das Patentrezept für gewaltsame Eskalation.
„Ich bin Student in Österreich, stamme aber aus Bosnien. Herr Bundeskanzler, soll ich nach meinem Studium überhaupt nach Bosnien zurückkehren? In Bosnien könnte wieder Krieg herrschen.“ Das war sinngemäß die Frage eines Stipendiaten aus dem Publikum an Sebastian Kurz. Der Kanzler hatte wenig zuvor gesagt, wenn Staaten in der Region sich einigen, dann müsse man das unterstützen. Auf die Besorgnis des Studenten reagierte er kaum. Möglicherweise hatte er die Frage nicht verstanden, vielleicht wollte er sie nicht verstehen.
Folgen sind nicht bis ins Detail abschätz- und kontrollierbar
Der Eindruck, dessen ich mich nicht erwehren kann ist jener, dass Österreichs Spitzenpolitiker nicht verstehen, was ein solcher Deal zwischen Vučić und Thaçi in der Region anrichten kann. Ich glaube, man denkt, man könne etwaige Auswirkungen, möglicherweise gewaltsame Auseinandersetzungen, auf dem Balkan kontrollieren. Und ich glaube, das können wir nicht. Wird der Frieden in der Region ein weiteres Mal durch einen gewaltsamen Konflikt zerstört, vernichtet das Jahrzehnte an diplomatischen Bemühungen und Versöhnungsarbeit. Jeder Anflug von Instabilität spielt ausbeuterischen Kräften in den Staaten des Westbalkan in die Hände, hilft der organisierten Kriminalität, schreckt Investoren ab, vernichtet somit Arbeitsplätze und die Zukunft für die junge Generation. Eine leichtfertige Zustimmung zu einem Deal mit solch weitreichenden Konsequenzen ist fatal. Natürlich gibt es auch Politiker_innen, die aus guten Gründen der Meinung sind, ohne einen solchen Deal wird es auf kurz oder lang nicht gehen. Die gefährlichen Implikationen sollten aber Österreichs erste Sorge in diesem Fall sein, nicht der eigene Ruf des „Brückenbauers“, den man anscheinend „Hinter mir die Sintflut“-artig um jeden Preis verkaufen möchte. Wir brauchen in diesem Fall mehr Fingerspitzengefühl, mehr Sensibilität, mehr Zeit und mehr Verantwortungsgefühl für unsere uns in mehrfacher Hinsicht so nahen Nachbarn. Das bedeutet nicht, dass wir ihnen von oben herab erklären sollen, was richtig und was falsch ist, aber wir müssen uns dem Gewicht unserer Worte in der Region bewusst sein und mit unserer Rolle verantwortungsvoller umgehen, als Hahn, Kurz und Van der Bellen das hier in Alpbach getan haben.
Offene Fragen
Es gilt für uns, Fragen zu beantworten, bevor Österreich seine Zustimmung gibt. Von welchen (Bedrohungs-)Szenarien gehen wir als Folge dieses Deals in Serbien, im Kosovo und vor allem in Bosnien aus? Ab 15. September sollen im Rahmen der missionsinternen Rotation 150 zusätzliche Soldaten aus Österreich die EUFOR in Bosnien verstärken. Österreich ist in Bosnien seit vielen Jahren aktiv, um den Frieden zu sichern und unsere Soldaten und die unserer Partnerländer machen dort einen wichtigen Job, aber sie sind nicht genug, um eine echte Gewaltwelle auf dem Balkan (möge Sie niemals wieder kommen) zu verhindern oder zu stoppen. Was passiert, wenn es wirklich zu einer Eskalation kommt? Die Staaten der Europäischen Union sind sich gegenwärtig denkbar uneinig in fast allen zentralen Fragen der europäischen Politik. Man tritt einander auf die Füße und ist nicht schnell handlungsfähig. Wären wir im Falle einer Eskalation in der Lage, schnell Einigkeit zu finden und zu verhindern, dass dieses politische Pokerspiel Menschenleben kostet? Ist Österreich bereit, Flüchtlinge aus der Region aufzunehmen, sollte es zu diesem äußersten Fall kommen? All jene Fragen wüsste ich gerne beantwortet, bevor ich den Präsidenten, den Bundeskanzler und möglicherweise auch den österreichischen EU-Kommissar sagen höre, dass man einem solchen Deal, wie Vučić und Thaçi ihn wohl machen wollen, auf jeden Fall unterstützen solle, egal was er umfasst.